Kapitel 1 – Heimkehr an den Ammersee
Dschordschi war schon oft in Bayern unterwegs gewesen, doch an diesem Abend führte ihn sein Weg nach Utting am Ammersee. Er war nicht im Einsatz – so zumindest hatte er es sich eingeredet –, sondern wollte einfach Ruhe finden. Der Ammersee hatte etwas Beruhigendes: die Spiegelung der Sonne auf dem Wasser, das Rufen der Möwen, das langsame Schaukeln der Boote.
Doch tief in seinem Inneren wusste der Weisse Wolf: Ruhe war ein seltener Gast in seinem Leben. Und selten blieb sie lange.
Als er den Steg entlangging, hörte er Schritte hinter sich. Ein Mann mit kräftigem Gang, wettergegerbtem Gesicht und einem verschmitzten Lächeln trat neben ihn.
„Dich erkennt man sofort“, sagte er, ohne Umschweife. „Die Geschichten über dich sind bis hierher gekommen.“
„Und du bist?“ fragte Dschordschi, die Hand noch locker, aber wachsam.
Der Mann streckte sie ihm entgegen: „Herr Bu aus U.“ Seine Stimme war klar, sein Griff fest. „Ich gehöre nicht zu den Schatten. Im Gegenteil – ich kämpfe seit Jahren gegen kleine Bosheiten. Aber ich fürchte, die Welt braucht jetzt mehr.“
Kapitel 2 – Massi Mo tritt hinzu
Sie gingen den Steg entlang, als plötzlich ein dritter Mann erschien. Er war größer, schlank, bewegte sich fast lautlos. Seine Augen strahlten Ruhe aus, eine Gelassenheit, die wie ein Gegenpol zum ständigen Druck der Welt wirkte.
„Du musst der Weisse Wolf sein“, sagte er mit ruhiger Stimme. „Ich bin Massi Mo. Mein Platz ist hier am See – aber manchmal reicht es nicht, nur still zu sein. Manchmal muss man eingreifen.“
Dschordschi spürte sofort, dass von ihm eine besondere Kraft ausging. Nicht die rohe Stärke eines Kämpfers, sondern eine Energie, die Spannungen löste, Konflikte besänftigte, Wogen glättete. Es war, als könnte Massi Mo den Sturm im Inneren anderer Menschen beruhigen – und das allein war eine Macht, die ebenso wichtig war wie jeder Schlag oder jeder Biss eines Wolfes.
„Vielleicht“, sagte der Weisse Wolf, „habe ich genau euch beide hier gebraucht. Aber wofür?“
Kapitel 3 – Gespräche im Biergarten
Sie setzten sich in den Biergarten am Ufer. Die Sonne senkte sich über den See, die Gläser klirrten, Kinder lachten irgendwo im Hintergrund. Alles wirkte friedlich.
Doch Herr Bu sprach von den letzten Monaten: von Intrigen in der Gemeinde, von merkwürdigen Störungen in den Stromleitungen, von seltsamen Symbolen, die nachts am Himmel über dem See aufgetaucht waren.
„Ich dachte erst, es seien Späße von Jugendlichen“, erklärte er. „Aber dann verschwanden Daten, ganze Systeme spielten verrückt. Immer nur kurz – wie ein Testlauf.“
Massi Mo nickte ernst. „Es war, als wollte jemand sehen, wie viel Chaos wir ertragen können, bevor wir zusammenbrechen.“
Der Weisse Wolf stützte die Hände auf den Tisch. „Das klingt nach ihm. Nach dem Ordonnator.“
Kapitel 4 – Das Bündnis am See
Die drei Männer schwiegen eine Weile, jeder hing seinen Gedanken nach. Schließlich hob Herr Bu sein Glas. „Dann lasst uns ein Bündnis schmieden. Wir drei – jeder mit seinen eigenen Stärken.“
„Ein Netz gegen das Raster“, sagte Massi Mo, fast poetisch.
Dschordschi nickte. „Er hat Angst vor Gemeinschaft. Er weiß, dass er uns nur brechen kann, wenn er uns einzeln erwischt. Aber wenn wir zusammenstehen… dann hat er ein Problem.“
Noch während sie sprachen, veränderte sich das Licht. Die Farben des Sonnenuntergangs wurden von einem kalten Rot überlagert. Das Lachen verstummte, Gläser klirrten, und die ersten Gäste im Biergarten sahen erschrocken zum Himmel.
Kapitel 5 – Die Erscheinung
Über dem Wasser des Ammersees spiegelte sich ein Raster. Erst schwach, dann deutlicher, bis es wirkte, als hätte jemand ein Netz aus rotem Licht über den See gespannt.
Dann, mitten in diesem Raster, erschien ein Gesicht. Kantig, scharf, mit Augen, die glühten wie geschmolzenes Metall. Die Stimme war verzerrt, hallte aber dennoch klar über den ganzen Ort:
„Ihr glaubt, euch verbünden zu können? Ihr glaubt, eure kleinen Stärken genügen? Ich bin Struktur. Ich bin Ordnung. Ich bin unausweichlich.“
Es war nur ein Hologramm, ein Schatten seines wahren Selbst. Aber es reichte. Menschen rannten vom Biergarten davon, Kinder schrien, und das Wasser des Sees begann zu zittern, als würde es auf die dunkle Präsenz reagieren.
„Ordonnator!“ rief der Weisse Wolf. „Zeig dich, wenn du Mut hast!“
Doch die Projektion lachte nur.
„Euer Netz zerreiße ich mit einem Blick. Genießt diesen Abend – er wird euer letzter ruhiger sein.“
Mit einem letzten Flackern verschwand das Bild, und das Wasser glättete sich wieder.
Kapitel 6 – Die Entschlossenheit
Stille senkte sich über Utting. Die wenigen Gäste, die geblieben waren, sahen erschrocken zu den drei Männern.
„Er fürchtet euch“, sagte Herr Bu schließlich. „Sonst hätte er sich nicht gezeigt.“
Massi Mo legte eine Hand auf die Schulter des Weissen Wolfs. „Das war eine Drohung – aber auch eine Chance. Er hat gesehen, dass wir nicht allein sind.“
Der Wolf zog seine Maske zurecht. „Dann wird er es bald richtig spüren. Dies war nur ein Auftakt. Das Spiel hat begonnen – und diesmal spielen wir nicht nach seinen Regeln.“
Epilog – Nacht über dem See
Die Sonne war längst verschwunden, die ersten Sterne glitzerten über dem Ammersee. Herr Bu, Massi Mo und der Weisse Wolf standen schweigend am Ufer.
Drei Männer. Drei Kräfte. Ein neues Bündnis.
Im Wasser spiegelten sich nicht mehr die Drohungen des Ordonnators, sondern nur das ruhige Licht des Himmels. Doch jeder von ihnen wusste: Dies war nur die Ruhe vor dem Sturm.