Prolog – Ein Abend wie jeder andere
Neufahrn bei München, ein milder Sommerabend.
Der Weisse Wolf – in seiner Alltagsgestalt als Dschordschi – saß in seinem kleinen Schrebergarten. Das Gras war frisch gemäht, die Tomatenpflanzen von Madame Green Thumb wucherten friedlich, und neben ihm stand eine eiskalte Flasche Helles.
Er nahm einen Schluck, lehnte sich zurück und lauschte dem Zirpen der Grillen.
Dann, fast unmerklich, veränderte sich der Klang der Nacht. Das Zirpen wurde langsamer, dumpfer… und dann verstummte es ganz.
Dschordschi stellte die Flasche ab. „Das ist nicht normal.“
Kapitel 1 – Ein Ruf aus der Dunkelheit
Am Rand seines Gartens floss ein kleiner Kanal, der sich weiter südlich mit den Isarauen verband.
Normalerweise spiegelte sich dort das Abendlicht golden im Wasser. Heute aber wirkte die Oberfläche schwarz, als hätte jemand den Himmel ausradiert.
Aus dem Dunkel tauchte eine Gestalt auf – ein alter Mann mit wettergegerbtem Gesicht.
„Wolf“, krächzte er, „sie sind zurück.“
„Wer?“
„Die Schatten. Und diesmal sind sie nicht allein.“
Kapitel 2 – Der Pfad in die Auen
Innerhalb weniger Minuten war aus Dschordschi der Weisse Wolf geworden. Maske, Anzug, der vertraute Schwung der Bewegung – wie ein Schalter, der umgelegt wurde.
Er folgte dem Alten, der sich erstaunlich schnell durch das Unterholz bewegte.
Die Isarauen lagen still und unheimlich da. Nebel kroch zwischen den Bäumen, und im Schilf glommen schwache, bläuliche Lichter.
„Was ist hier passiert?“, fragte der Wolf.
„Etwas hat das Gleichgewicht gestört“, antwortete der Alte. „Und es frisst… Erinnerungen.“
Kapitel 3 – Der erste Angriff
Kaum hatten sie die Uferlinie erreicht, schälte sich etwas aus dem Nebel: humanoide Silhouetten, jede von einem dichten Schwarm schwarzer Fäden umgeben.
Die Fäden bewegten sich wie lebendig, drangen in die Umgebung ein und ließen Pflanzen, Holz – ja sogar den Geruch der Luft – erblassen.
Der Weisse Wolf sprang vor. Ein schneller Kick, eine Drehung – aber die Schatten zerflossen und tauchten hinter ihm wieder auf.
„Körperliche Angriffe bringen nichts“, rief der Alte. „Du musst… zuhören.“
Kapitel 4 – Das Flüstern im Nebel
Der Wolf schloss die Augen. Zwischen dem Rauschen des Flusses und dem Wispern der Schatten erkannte er Muster – Fragmente von Sätzen, Lachen, Erinnerungen.
Sie stahlen keine Dinge… sie stahlen Geschichten.
„Gebt sie zurück!“, rief er.
Doch die Schatten antworteten nur mit einem kalten, hallenden: „Nur wer bereit ist zu verlieren, kann behalten.“
Kapitel 5 – Die Jagd ins Herz der Auen
Er folgte den Schatten tiefer ins Gebiet, wo die Isar in verborgene Seitenarme zerfiel.
Hier stand eine alte, verfallene Hütte, die noch aus Zeiten stammte, als die Flößer den Fluss beherrschten. Im Inneren schimmerte ein kristalliner Kern – pulsierend, wie ein Herz.
Die Schatten kreisten darum wie Aasgeier.
Der Weisse Wolf begriff: Der Kern war ein Speicher aller Geschichten der Region – die Freude, das Leid, das Leben selbst.
Und die Schatten waren Parasiten, die davon zehrten.
Kapitel 6 – Der Gegenschlag
Er erinnerte sich an seinen letzten Schluck Bier im Schrebergarten, an die Wärme der Abendsonne, an den Geruch frisch gemähten Grases.
Er ließ diese Erinnerung in den Kern fließen – so stark, so klar, dass sie den Nebel durchdrang.
Die Schatten wichen zurück. Der Kern begann heller zu leuchten, und ein warmer Wind fegte durch die Hütte.
„Erinnerungen nähren sich von denen, die leben“, rief der Wolf. „Ihr kriegt hier nichts mehr!“
Mit einem letzten Aufheulen lösten sich die Schatten auf.
Kapitel 7 – Zurück in die Stille
Als er wieder am Schrebergarten ankam, war die Grillenmusik zurück. Der Alte war verschwunden, als wäre er nie dagewesen.
Dschordschi setzte sich, nahm die Flasche in die Hand – und bemerkte, dass sie noch kühl war, als hätte er nur einen Moment weggewesen.
Er prostete in die Dunkelheit. „Auf dich, Neufahrn.“
Und irgendwo, weit hinten in den Isarauen, antwortete der Wind mit einem zufriedenen Raunen.